Manfred Arlt
Autor
 

Die Hüter des Sakraments: LESEPROBE


Kapitel:1  Einleitung

Liebe Leserin, lieber Leser,

auch ich lese das Vorwort eines Buches normalerweise nicht. Weil mich nicht interessiert, dass sich der Autor bei seiner Frau, den Eltern, den Kindern, dem Hund und der Katze auf diesem Wege für die Unterstützung bei der Erstellung seines Werkes bedankt. Das soll er gefälligst persönlich machen. Und auch dem Eichhörnchen im Garten, das ihn so oft neu inspirierte, sollte er lieber ein paar Erdnüsse spendieren, als sich in einem Buch zu be­danken. Die meisten Eichhörnchen, die ich kenne, kön­nen nämlich gar nicht lesen. Vielmehr möchte ich diese Gelegenheit nutzen, Sie um einen Gefallen zu bitten. Ich bin oft von Bekannten an­gesprochen worden, dass ich doch auch diese oder jene Idee in die Geschichte hätte einarbeiten können. Nur kannte ich diese Ideen leider nicht. Sollte Ihnen etwas einfallen, das zu dem Gedanken dieses Buches passen wür­de, teilen Sie es mir bitte mit. Eine Plattform dafür habe ich auf meiner Homepage www.manfredarlt.de eingerichtet. Vielleicht werden in einem zweiten Band ja Ihre Ideen mit einfließen. Ich würde mich sehr freuen. Es sei noch einmal ausführlich darauf hingewiesen, dass es sich hier nur um eine fiktive Geschichte handelt und ich auf gar keinen Fall die Bibel in Frage stellen oder gar anzwei­feln möchte.

Und nun viel Spaß beim Lesen.

 

Manfred Arlt  (und das Eichhörnchen)


Kapitel 2:  *Jack the Hacker*

 

Ihre Reise begann vor der Ewigkeit. Und ihr Ziel war Hier und Jetzt.

Doch hier herrschte das absolute Nichts. Die Unwissenden riefen: Was wollt ihr hier? Es gibt hier nur das Nichts.
Da aber nahmen sie das Nichts und begannen es zu for­men.
Und siehe aus dem Nichts formten sie die Sonne.
Denn sie sind die Schöpfer.

Sie sprachen: Die Sonne ist die Kraft der Unendlichkeit
Und deshalb soll sie der Mittelpunkt sein.
Dann formten sie aus dem Nichts die Planeten, auf dass sie die Sonne bis zum Ende der Zeit auf festen Bahnen umkrei­sen sollten.
Die Unwissenden riefen wieder: Was sollen Sonne und Planeten 
hier?
Doch sie sprachen, wenn die Zeit es will, wird aus dem Nichts das ewige Leben entstehen,

denn das Nichts ist ein nie versiegender Quell. Man muss nur danach su­chen. Auch wir haben sie gefunden.
Denn wir sind die Schöpfer.

Dann gaben sie den Planeten ihre Namen. Sie nannten sie Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn Uranus, Neptun und Pluto.

Und sie sagten, dass die Erde der wichtigste Planet wäre.

Denn sie zeichnet mit der Venus den Schlüssel zur Ewigkeit ins Firmament.
Jeder, der sehen kann, wird ihn sehen.
Dann setzten sie ihre Reise fort, um das nächste Nichts zu suchen.

Denn sie sind die Schöpfer.

 

Die Schöpfungsgeschichte: Vers 1


  

Zugegeben, der Text hatte mir beim ersten Lesen eine leichte Gänsehaut beschert. Doch dann hatte ich mich einfach nur aufgeregt. Dafür hatte ich mehr als acht Stunden mit der stärksten Firewall gekämpft, die mir je­mals untergekommen war. Hatte meinen Supertrojaner geopfert und das alles nur für diese paar blöden Zeilen. Die Schmerzen in meinem linken Bein hatten sich mitt­lerweile so verstärkt, dass ich erst meine Medikamente nehmen musste und mich dann in die Waagerechte be­gab. Nun konnte ich in Ruhe meine Gedanken ordnen.

In der Hackerszene hatte ich mir mit der Zeit einen erstklassigen Ruf erworben. Kein Wunder, mit meinem verkrüppelten Bein hatte ich nicht die Möglichkeit, ein interessanteres Hobby auszuüben. Alle sportlichen Akti­vitäten waren von vornherein ausgeschlossen und mein Freundeskreis war auch nicht besonders groß. Irgendwie hatte ich mich auf Computer und Internet eingeschossen. Da verbotene Sachen durchaus einen Reiz auf mich ausüben, fing ich irgendwann an, mich in der Grauzone des Netzes herumzutreiben. Hier habe ich dann meine Berufung gefunden. Es gab keine Seite, die ich nicht irgendwann knacken konnte. Anfangs nur aus Spaß an der Freude. Später entdeckte ich dann eine gewisse kriminelle Energie in mir, obwohl ich eigentlich ein sehr religiöser Mensch bin. Besonders Seiten mit pornographischen Inhalten hatten sich als sehr lukrativ erwiesen. Je perverser, desto besser. In dieser Branche wird eine Geldmenge umgesetzt, die man sich nicht vorstellen kann. Jedenfalls ich konnte das zunächst nicht. Die Betreiber einer einigermaßen profitablen Pornoseite haben kein Problem damit, monatlich 100,00 € ab­zudrücken, damit ihre Zugangsdaten nicht veröffentlicht werden oder die Seite mal aus unerfindlichen Gründen abstürzt. In gewisser Art und Weise bin ich als Crash-Tester ja so etwas wie ein freiberuflicher Mitarbeiter. Sehr frei, zugegeben. Das macht bei mittlerweile fast fünfzig Seiten einen schönen Nebenverdienst. Mit dem Geld, das ich vom Arbeitsamt und der Krankenkasse bekomme, hätte ich mir meine technische Ausrüstung niemals leis­ten können.

Gestern hatte ich beim Blind surfen durch Zufall eine IP-Adresse entdeckt, die es in dieser Art eigentlich gar nicht geben durfte. Neugierig geworden, schaute ich mich auf diesem Server ausgiebig um. Aber es gab nichts zu finden, absolut nichts. Dieser Server war total leer, als wäre er gerade erst ausgepackt worden.

Mittags hatte ich einen Termin bei meinem Physio­therapeuten. Danach wählte ich diese Adresse noch ein­mal an, ein zweiter Blick konnte ja nicht schaden. Diesmal erlebte ich jedoch eine böse Überraschung. Eine mir to­tal unbekannte Firewall schützte jetzt den Server. So was hatte ich noch nicht gesehen. Aber jetzt war mein Jagd­instinkt geweckt. Ich konnte sehen, wie die Sicherheits­vorkehrungen stetig weiter verbessert wurden. Da muss­te jemand sitzen, der seinen Job verstand, leider! Vor einigen Tagen hatte ich einen neuen Trojaner programmiert, auf den ich super stolz war. Ich hatte ihn noch nicht eingesetzt. Seine Signatur konnte deshalb noch von keinem Schutzprogramm erkannt werden. Also versuchte ich, diesen Kerl in die noch nicht ganz fertige Absicherung zu schleusen.

Irgendwann schaffte ich es. Der Trojaner hatte sich als Teil des Schutzwalls implementiert. Schnell deakti­vierte ich ihn wieder und war riesig gespannt auf das, was da so aufwendig geschützt werden sollte. Schließ­lich war ich *Jack the Hacker*.

Abends startete ich dann meinen Angriff. Obwohl ich mit dem Trojaner ein Bein im Feindesland hatte, kostete es unglaubliche Mühe, in den Server einzudringen. Das einzige, was ich dort fand war ein Verzeichnis, in dem jeder Ordner wieder einzeln geschützt war. Ich fand kei­ne Möglichkeit, auch nur einen dieser Ordner zu öffnen. Schließlich war ich mit meinem Latein am Ende. Das Einzige, was ich jetzt noch machen konnte, war, den Datenverkehr zu beobachten und auf eine Eingebung zu warten. Die kam allerdings schneller als ich gehofft hatte. In unregelmäßigen Abständen wurden kleine Datenpakete an jeden einzelnen Ordner auf den Server geschickt und die Ordner schickten eine Art Bestätigung zurück. Schnell erkannte ich, dass diese Daten die neues­ten Virenkennungen waren, mit denen alle Systeme in Echtzeit aktualisiert wurden. Ich war fasziniert. Meine Hochachtung vor dem unbekannten Systemadministrator stieg rapide.

 Mir war klar, dass ich nur einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung haben würde, sobald ich den nächsten Schachzug startete. Mein Adrenalinspiegel war auf dem Höchststand. Beim nächsten ankommenden Paket ko­pierte ich meinen Trojaner und schleuste ihn in den erst­besten Ordner mit ein. Dort kopierte ich die erste Textda­tei, die ich fand, und schickte sie mit der Bestätigungsda­tei an meinen Haupttrojaner und von dort sofort nach draußen. Es gelang mir gerade noch meinen Trojaner zu deaktivieren, als der Server auch schon reagierte. Er ging komplett vom Netz. Nichts war mehr da. Als hätte es ihn nie gegeben. Sobald die Datei bei mir eingegangen war, nahm ich den Rechner, der diese Attacke ausgeführt hat­te, ebenfalls vom Netz. *Jack the Hacker* hatte wieder erfolgreich zugeschlagen!  

Erfolgreich? Was sollte dieser scheiß Text? Mir war zwar nicht klar, was ich erwartet hatte, aber das beste Abwehrsystem, das ich kannte, hatte ich eingesetzt, nur für so einen schwachsinnigen Spruch? Es war einfach nur frustrierend. So viel Aufwand für nichts. Selbstver­ständlich würde ich einen zweiten Angriff starten. Aber mein Gefühl sagte mir, dass ich besser einige Tage war­ten sollte. Außerdem würde ich heute Abend noch Be­such bekommen. Unser wöchentliches Treffen sollte heute bei mir stattfinden und wir planten, die Bedingun­gen für unseren Wettkampf heute klarzuziehen.


Kapitel 3: London - die Evanisten

„Bruder Wolfgang, was ist mit dir? So aufgeregt habe ich dich seit vielen Jahrzehnten nicht gesehen! Müsstest du dich nicht in den Katakomben bei deinen Computern aufhalten?“

„Ja Bruder Abt, eigentlich sollte ich dort sein. Ich war gerade dabei, unseren neuen Server einzurichten, da bemerkte ich, dass wir einen unerwünschten Besucher hatten. Mein erster Gedanke war natürlich, alles sofort abzuschalten. Dann hab ich’s mir aber anders überlegt. Es waren ja noch keine Daten hinterlegt, nur die Struktur war aufgebaut. Also hinterlegte ich in jedem Ordner ein relativ unwichtiges Dokument, nämlich den ersten Vers der wahren Schöpfungsgeschichte. Anschließend wartete ich ab, was sich ereignen würde. Abends kam unser Be­sucher wieder. Überraschenderweise gelang es ihm in re­lativ kurzer Zeit, unsere erste Verteidigungslinie zu durchbrechen. Wieso und warum, muss ich noch unter­suchen. Bei der zweiten Linie musste er anscheinend zunächst passen. Aber Aufgeben liegt unserem Gegner wohl nicht: Mit seinem nächsten Schachzug hat er mich auf einen groben Fehler in unserem System aufmerksam gemacht. Es ist ihm tatsächlich gelungen, die Köderdatei zu kopieren, ohne dass ich seinen Standort ausfindig machen konnte. Allerdings besteht die von ihm kopierte Datei nicht nur aus Text, sondern auch aus einem riesigen Leuchtfeuer. In dem Quelltext habe ich eine Signatur versteckt, die es mir ermöglicht, die Datei oder jedwede Kopie davon wiederzufinden. Vorausgesetzt, sie taucht noch einmal im Internet auf. Wenn dieser Angriff also von den Santen oder der Kirche gestartet wurde, waren sie nicht sehr erfolgreich. Beide sind sowieso im Besitz der ersten fünf Verse. Außerdem sind wir jetzt gewarnt. Sollte aber ein uns Unbekannter dahinterstecken, wäre es durchaus wichtig herauszufinden, wer derjenige ist. Das ist meine Einschätzung der Situation. Ich hoffe, sie findet deine nachträgliche Zustimmung.“

Nach den Ausführungen Bruder Wolfgangs musste der Abt erst einmal seine Gedanken sortieren. Sollte die relativ friedliche Zeit vorbei sein? Seit nunmehr als einhundert Jahren war er für die Bruderschaft der Evanisten verantwortlich. Seine Lebensaufgabe war es, das Geheimnis der wahren Schöpfung zu bewahren. Die Bruderschaft erfüllte seit tausenden von Jahren ihre Auf­gabe. In seine eigene Amtszeit fielen die beiden großen Weltkriege. Die Waffen, die die Menschheit in diesen Kriegen eingesetzt hatten, waren unvorstellbar grausam gewesen. Aber das Sakrament hatte bisher nie eingegriffen. Die Evanisten waren nicht in Gefahr geraten.

Allerdings war das auch nicht immer so gewesen: Der Dreißigjährige Krieg war für seinen Orden eine der größten Prüfungen in dessen gesamten Geschichte. Damals hatten sich die Santen und die Kirche gegen den Orden der Evanisten verbündet. Der damalige Abt, Bruder Bernando, hatte den Orden nur durch einen genialen Schachzug retten können. Allerdings kostete es ihn sein Leben und das vier weiterer, der insgesamt fünf Sakramentonen. Durch ein Versehen wurden nur Abschriften der letzten fünf Verse der wahren Schöpfung gerettet, nicht die Originale. Die ersten fünf Verse, sowie das Sakrament und die wichtigsten Artefakte konnten in Sicherheit gebracht werden. Fast alle Evanisten verloren ihr Leben. Die Bruderschaft stand kurz vor ihrer Vernichtung.

Ende des Jahres 1632 waren die kriegsführenden Parteien von erheblichen Geldsorgen geplagt. Auf Geheiß der Kirche griff ein kleines Söldnerheer unter der Führung der Santen das damalige Felsenkloster der Evanisten in den Ardennen an. Sie vermuteten unermess­liche Schätze in dem Kloster. Als das Söldnerheer vor dem Kloster erschienen, zerstörte die Bruderschaft der Evanisten den einzigen Eingang in ihr unterirdisches Felsenkloster. Zwar konn­ten die Angreifer nun nicht ins Kloster hinein, aber die Mönche auch nicht mehr hinaus. Die Belagerung dauer­te fast ein Jahr. Doch die Mönche konnten diese Zeit leicht überleben, da durch die Aura ihres Sakraments auch innerhalb des Berges Bäume und Pflanzen wuch­sen, von deren Früchten sie sich ernähren konnten.

Irgendwann begannen die Angreifer damit, einen Stollen in den Berg zu treiben. Es war nur eine Frage der Zeit, dass sie auf einen Stollen des Klosters stoßen würden und damit das Kloster erobern könnten. Die Mönche waren keine Krieger und hätten den Söldnern keinen Widerstand leisten können. Das war auch dem damaligen Abt, Bruder Bernando bewusst.

Als abzusehen war, dass die Söldner nicht einfach wieder abziehen würden, suchte der Abt nach einem Weg, zumindest das Sakrament in Sicherheit zu bringen. Er beauftragte Bruder Markus, einen der fünf Sakramen­tonen, damit, das Sakrament und die wichtigsten Unter­lagen der Bruderschaft sowie einen nicht unerheblichen Teil, des in der Tat vorhandenen weltlichen Schatzes, au­ßer Landes zu bringen. Ein leiblicher Bruder von Bruder Markus war der Leiter eines kleinen Jesuitenklosters in London. Dorthin sollte Bruder Markus das Sakrament, mit Hilfe einiger weiterer Mönche, bringen.

Durch das teils natürliche, teils künstliche Höhlenla­byrinth, das sich die Evanisten im Laufe der Jahrhun­derte geschaffen hatten, konnte man bis zu einem klei­nen, mit Booten befahrbaren Nebenarm der Maas gelan­gen. Allerdings mussten zunächst die Gänge an vielen Stellen erweitert werden, damit das Sakrament überhaupt durch die Höhlen transportiert werden konnte. So dauerte es mehrere Wochen, bis die Mönche den Höh­lenausgang endlich erreichten. Die wahnsinnige An­strengung war nur zu schaffen, weil sie durch die direkte Aura des Sakramentes im Schlaf neue Kräfte schöpfen konnten. Trotzdem überlebten fünf der insgesamt zwanzig Evanisten diesen Weg nicht. Bruder Markus schickte zwei Brüder mit einem Bittbrief nach London. Die anderen Brüder stahlen einen Kahn, beluden ihn und fuhren flussabwärts, durch die Maas, auf den Rhein, durch den Ärmelkanal auf der Themse bis nach London. Trotz der Kriegswirren kamen sie unbeschadet an ihr Ziel. Dort wurden sie von den Je­suiten bereits erwartet und endlich sicher in deren Klos­ter untergebracht.

Die restlichen Evanisten, die in dem Felsenkloster zurück geblieben waren, zogen sich in den hintersten Teil des Labyrinths zurück, der bisher nur dem innersten Zirkel, also dem Abt und den fünf Sakramentonen vorbe­halten war. Hierhin wurden alle übrigen Unterlagen der Bruderschaft, sowie der restliche weltliche Schatz ge­bracht. Als die Söldner unter der Führung der Santen schlussendlich in das Felsenkloster eindrangen, brachten die Evanisten den größten Teil des Labyrinths zum Einsturz. Sie zogen den Tod der Gefangenschaft vor. Damit waren die Evanisten bis auf die fünfzehn, die mit Bruder Markus nach London geflo­hen waren, ausgelöscht.

 

Langsam kehrten die Gedanken des Abtes in die Ge­genwart zurück. Der Orden hatte sich mittlerweile wie­der erholt. Etliche Mitarbeiter waren weltweit für ihn tätig. Seine Finanzkraft würde die mancher Staaten in den Schatten stellen. Trotzdem war der Orden nicht mehr unter seinem offiziellen Namen tätig geworden. Die Evanisten, die „Hüter des Sakraments“, waren untergetaucht. Doch nun schien die lange Zeit der Ruhe ein Ende zu haben. Der Abt blickte Bruder Wolfgang an:

„Du hast richtig gehandelt. Sobald du neue Nachrich­ten hast, informiere mich sofort, egal zu welcher Zeit.“

Kapitel 4: Die Collage

Ich war gerade mit meinen letzten Vorbereitungen für unser heutiges Treffen fertig, als sich auch schon die Klingel meldete. Innerhalb von zehn Minuten trafen alle Mitglieder unseres Hackerclubs ein. Pünktlichkeit ist eine schöne Sache. Da waren Thomas und Carsten; die beiden waren mehr als nur gute Freunde. Sie lebten zu­sammen. Aber genauso wenig wie es sie störte, dass ich ein verkrüppeltes Bein hatte, störte es mich, dass sie ein schwules Paar waren. Außerdem waren sie hoffnungslo­se Romantiker, die nur an das Gute im Menschen und in der Welt im Allgemeinen glaubten.

Dann war da Margret, die Tochter aus gutem und rei­chem Hause. Sie würde in jeder Disco und auf jeder Par­ty die Queen abgeben. Aber das Einzige, was sie interes­sierte, waren Zahlen beziehungsweise die Mathematik. Zusätzlich war sie das schwarze Schaf der Familie.

Ja, und dann war da noch Sabine, meine heimliche Liebe. So geheim, dass sie selbst nichts davon wusste. Seit unserer ersten Begegnung war ich in sie verknallt, wurde nervös, wenn sie in der Nähe war und deprimiert, wenn sie wieder ging. Sie war ein absolutes Sprachge­nie.

Nach dem gemeinsamen Essen setzten wir uns in mein Arbeits-Wohn-Bastel-Technik-Zimmer, tauschten die neuesten Infos über Hardware und Software aus und klärten noch einmal die Regeln für unseren Wettkampf.

Jeder sollte bei youtube einen Clip einsetzen. Nichts Pornografisches, nichts Rassistisches oder Gewalttätiges. Länge ca. eine Minute, alles selbst erstellt. Der Zähler bei youtube dürfte dabei nicht manuell verändert wer­den. Startzeit sollte am nächsten Tag, 24 Uhr sein. Dann würde jeder Kontrahent einen Link zugeschickt bekom­men und auch in den weiteren nächsten zehn Stunden dürfte nichts manipuliert werden.

Aber dann! Der Sinn dieser Aktion war schließlich die Manipulation der Anzahl der Zugriffszahlen für den eigenen Clip. Nach genau zweihundertvierzig Stunden sollte das Video dann wieder gelöscht werden. Sieger würde der von uns, mit den meisten Klicks.

Über die Bedingungen waren wir uns relativ schnell einig geworden und so konnten wir uns im Anschluss auf den gemütlichen Teil des Abends konzentrieren. Was dazu führte, dass ich am nächsten Morgen nicht sagen konnte, ob mein Kopf oder mein Bein mehr schmerzte.

Als ich wieder einigermaßen klar denken konnte, nahm ich mir noch einmal mein Wettkampfvideo vor. Ich hatte ein 3D-Fraktal konstruiert, das seine Form und Far­be laufend veränderte. Dazu passend hatte ich eine Mi­schung aus sakraler Musik und mystischen Sphärenklän­gen hinterlegt. Tagelang hatte ich an dieser Collage ge­feilt, aber jetzt war ich doch ganz zufrieden. Plötzlich hatte ich noch eine Idee. Am Vortag hatte ich mir doch diesen Text von der Schöpfungsgeschichte runtergeladen. Ir­gendwie passte der Text zu der Gesamtstimmung des Vi­deos. Die Datei schien mir für einen so kurzen Text zwar deutlich zu groß, aber darüber machte ich mir in diesem Augenblick keine weiteren Gedanken. Kurzerhand ließ ich den Text langsam als Laufschrift über mein Video wandern. Nachdem ich die Geschwindigkeit angepasst hatte, war ich mit dem Ergebnis mehr als zufrieden. Pro­beweise lud ich die Collage bei youtube hoch und wollte mir mein Meisterwerk noch einmal in Ruhe ansehen.

 Dummerweise hatte ich weder eine Dose Bier, noch Zigaretten im Haus. Außerdem hatte ich mein Bein heute sehr vernachlässigt. Also, ein kleiner Spaziergang und ich hätte alles zusammen erledigt. Das Video konnte ja solange online bleiben.

Als ich nach einer guten Stunde zurückkam, war ich dann doch überrascht. Irgendjemand hatte sich das Video schon angesehen und sogar einen Kommentar hinterlas­sen. Eine Angela80 fand es irrsinnig geil. Sie überlege, ob sie das Video, oder Teile davon, als Startseite auf ihre kurz vor der Fertigstellung stehende Homepage setzen solle. Schade, da das Video ja noch nicht offiziell gestar­tet war, konnte ich ihr nicht antworten. Nachdem ich es mir selbst noch einige Male angesehen hatte und mit mir sehr zufrieden war, löschte ich es aus dem Netz und be­gann, meine Wohnung aufzuräumen. Nach gestern Abend sah es noch ziemlich chaotisch aus.


Kapitel 5:  Eine neue Internetseite

Angelika schloss die Kajütentür ihres Hausbootes hinter sich, lehnte sich dagegen und atmete tief durch. Feierabend und langes Wochenende! Und das Beste war, sie hatte weder Dienst, noch Bereitschaft, drei Tage lang.

Für den Heimweg hatte sie weniger als eine Stunde gebraucht. Das war für Amsterdamer Verhältnisse und einem Weg von fast zehn Kilometern eine verdammt gute Leistung. Bevor sie endgültig abschalten konnte musste sie nur noch ihr kleines persönliches Feierabend-Ritual durchführen. Sie nahm ihre Dienstwaffe aus dem Schulterhalfter, überprüfte noch einmal ob die Waffe ge­sichert war und legte sie mit Dienstausweis, Halfter und Marke in die Schreibtischschublade.

Mit einem Schlag wurde aus der Sonderagentin des Drogendezernats Amsterdam wieder Angelika Korte, Yoga-Fan und engagierte Tierschützerin. Sie hatte es sich gerade auf dem Sofa bequem gemacht da kam auch schon Mick Jagger, ihr Kater, angesprungen und forderte energisch seine ihm zustehenden Streicheleinheiten ein. Dann duschte sie sehr ausgiebig und nach einem, natür­lich vegetarischen, Abendessen setzte sie sich an ihren Schreibtisch und schaltete den Rechner an. Schließlich sollte heute ihre eigene Internetseite fertig und ins Netz gestellt werden. Die thematischen Seiten hatte sie schon seit einiger Zeit komplett. Die Themen waren vegetari­sches Essen, Meditationstechniken und selbstverständ­lich der Tierschutz. Nur die Startseite hatte ihr noch Pro­bleme bereitet. Bis gestern. Um sich inspirieren zu las­sen, hatte sie sich bei youtube einige Clips angesehen. Sie hatte willkürlich einige Videos ausgewählt, die gera­de eingestellt wurden. Und dabei hatte sie eines gefun­den, das ihr wunderbar gefiel. Eine Komposition aus Farben und Formen, untermalt von mystischen Klängen. Und als Krönung lief über das Video noch ein sakraler Text. Sie hatte den Urheber angeschrieben und um seine Zustimmung gebeten, diesen Clip in ihre Internetseite einbauen zu dürfen. Jetzt war sie auf seine Antwort ge­spannt. Den Link hatte sie kopiert, doch dummerweise war der Clip nicht mehr vorhanden. Er war gelöscht worden. Das war natürlich schade, aber nicht schlimm. Denn sie hatte sich dieses Video zuvor bereits auf ihren Rechner geladen. Die ganze Komposition wollte sie ohne Zustimmung des Urhebers nicht benutzen, aber den Text, der ja wohl aus der Bibel stammte, den setzte sie auf ihre Startseite. Der passte irgendwie zu den fernöstlichen Meditationstechni­ken. Mit dem Ergebnis war sie sehr zufrieden.

Ein Kollege, der sich mit Internetseiten gut auskann­te, hatte ihr noch einen, seiner Meinung nach sehr wich­tigen, Tipp gegeben. Es gibt in der Struktur einer Inter­netseite so genannte Suchmaschinen-Tags. Hier kann man Stichwörter und Suchbegriffe angeben, damit ande­re Leute die eigene Seite durch die Suchmaschinen bes­ser finden können. Er hatte ihr genau aufgeschrieben, wie sie da vorgehen musste. Nachdem sie die ihrer Mei­nung nach relevanten Begriffe eingetragen hatte, war aber immer noch freier Platz für irgendwelche Worte. Weil ihr nichts anderes mehr einfiel, trug sie dort noch die Begriffe „Schöpfungsgeschichte“ und „denn sie sind die Schöpfer“ ein. Damit war die Seite fertig. Nach mehrmaliger, ausgiebiger Kontrolle lud sie ihr Meister­werk dann endgültig ins Internet.

Hallo Welt, ich bin da!

Da es noch ziemlich früh am Abend war, nahm sie ihr Handy und rief alle Leute, die ihr irgendwie wichtig wa­ren an, um sie über diese großartige Sache zu informie­ren. Als sie irgendwann ins Bett ging, hatte der Besu­cherzähler schon fast zwanzig Besucher registriert und in dem Gästebuch waren auch schon einige nette Einträge. Angelika war richtig stolz auf sich. Das Leben konnte so schön sein.